Stefan Leifert: Brüssel ist das neue Berlin
Für deutsche Medien sollte Brüssel eine ähnliche Bedeutung haben wie Berlin. Wenn das ein Brüsseler Korrespondent des ZDF sagt, mag das zunächst eigennützig klingen. Wenn dieser Korrespondent jedoch Stefan Leifert heißt und schlüssig argumentiert, lohnt es sich, zuzuhören. Bei dem diesjährigen Görres-Abend des ifp stellt Leifert neun Thesen über die EU auf. Es sind optimistische Thesen. Gerade an diesem 29. Januar 2020, wenige Stunden vor dem Brexit, ist dieser Optimismus eine wohltuende Überraschung.
Eine Kernthese lautet: Die EU sei zuweilen ein Synonym für das Wort Krise geworden - und das habe Brüssel weitergebracht. „Der Abgrund könnte zugleich Europas Rettung gewesen sein“, sagt Leifert. Finanzmarktkrise, Griechenlandkrise, Brexit-Drama, sie alle hätten das Image von Brüssel paradoxerweise verbessert. Von einem technischen, langweiligen Ort sei es so zum Spielort von Welt- und Europapolitik geworden. Die Suche nach Lösungen sei wichtiger geworden - und sie führe meist nach Brüssel.
„Brüssel ist das neue Hauptstadtstudio“, so beschreibt Leifert diesen Wandel. Lange habe gegolten: „Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa“. Heute sei das nicht mehr der Fall. Beispiele dafür findet Leifert sowohl in der Politik als auch im Journalismus: Auf der einen Seite etwa eine SPD, die ihren letzten Kanzlerkandidaten in Brüssel statt in Berlin fand. Auf der journalistischen Seite Politico, ein Format, das mit einem exklusiven Fokus auf EU-Themen mittlerweile schwarze Zahlen schreibe.
Trotzdem sei die EU journalistisch noch völlig unterschätzt. Es sei ein absurder Anachronismus, wie wenig Korrespondenten es in Brüssel gäbe. Selbst ARD und ZDF seien mit einigen wenigen Korrespondentenstellen „mickrig aufgestellt“, verglichen mit der Vielzahl der Stellen in Berlin. Die privaten Sender hätten keinen Korrespondenten, auch die Bild als größte deutsche Zeitung nicht. Andere Zeitungen teilten sich zu zehnt einen Korrespondenten.
Perfekte Bedingungen für guten Journalismus
Passend zum ifp war die Schlussthese Leiferts: „Brüssel gehört in die Journalistenschulen“. Die Stadt sei ein Ort voller Geschichten, Themen und Dramen. Und eine, in der die Filterblase leichter platze als anderswo. „Es kreuzen sich Akteure und Journalisten aus 28 EU-Ländern und noch mehr Nicht EU-Ländern“, sagte der Korrespondent. „Wer den Brexit selbstverständlich für eine historische Dummheit hält, trifft in Brüssel sofort einen Briten, der einen nachdenklich macht.“ Er wolle damit nicht sagen, dass Brüsseler Journalismus besser sei. „Aber die Bedingungen für guten Journalismus sind dort perfekt.“
Text: Viktor Marinov, Volontär bei der Rheinischen Post und Teilnehmer des ifp-Programms für Volontäre an Tageszeitungen
Erinnerung an den Publizisten Joseph Görres
Mit dem Görres-Abend erinnert die katholische Journalistenschule ifp an den katholischen Publizisten und Gründer des Rheinischen Merkurs Joseph Görres (1776-1848). Zuvor sprachen bei den Görres-Abenden die Historikerin und Görres-Biographin Monika Fink-Lang, Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, 2018 zum ifp-Jubiläum Kardinal Reinhard Marx und der TV-Moderator Thomas Gottschalk und im vergangenen Jahr die Islamwissenschaftlerin und Publizistin Lamya Kaddor.