Islam-Unterricht ohne kirchliche Brille
Der islamische Religionsunterricht in Deutschland sollte nach Ansicht der Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor auf eine möglichst breite theologische Basis gestellt werden. Der Staat müsse bei der Organisation des Unterrichts seine kirchliche Brille abnehmen, sagte sie beim Görres-Abend der katholischen Journalistenschule ifp in München, weil der Islam nicht so institutionalisiert sei wie etwa die katholische Kirche. Beispielsweise habe die Landesregierung Nordrhein-Westfalen jetzt für die Evaluierung des bisherigen Angebots die Chance, Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Kaddor regte an, in dem zuständigen Beirat nicht nur vier islamische Dachverbände zu beteiligen, sondern auch unterschiedlichste Strömungen innerhalb des Islams sowie auch Einzelpersonen. Mit dem Angebot des islamischen Religionsunterrichts sehe sie die große Chance für die Muslime, in Deutschland über den Islam und seine Ausprägungen zu streiten und gemeinsam zu überlegen, was in Schulen und Universitäten gelehrt werde.
Lamya Kaddor erinnerte in ihrem Vortrag daran, dass die europäische Geschichte über Jahrhunderte hinweg stets eine Migrationsgeschichte gewesen sein und Deutschland mit den Gastarbeitern, Asylbewerbern und Migranten längst ein Einwanderungsland geworden sei: „Keine Migration war reibungslos.“ Für die Migranten müssten heute die klare Grundregel gelten, dass sie sich an alle gesetzlichen Regeln zu halten hätten. Außerdem müsse für alle Migranten die wirtschaftliche Unabhängigkeit das Ziel sein. Es sei aber auch die Zeit dafür, die Mehrheitsgesellschaft in Blick zu nehmen. Diese müsse beispielsweise auch würdigen, welchen Beitrag die Gastarbeiter zum Wohlstand des Landes beigetragen hätten.
Die Islamwissenschaftlerin sprach sich im Hinblick auf die sich verändernde religiöse Landkarte auch dafür aus, atheistische Positionen in der Gesellschaft nicht länger totzuschweigen und diese mehr zu berücksichtigen. Sie warnte vor der breiten Ignoranz gegenüber Atheisten. Ihrer Ansicht nach gibt es es weniger Konfliktlinien zwischen Christen, Juden und Muslimen als Spannungen zwischen Gläubigen und Nicht-Gläubigen. Dabei sei der säkulare Teil der Bevölkerung in Deutschland äußerst heterogen. Kaddor regte an, besser zuzuhören, um die Positionen der Anderen kennenzulernen.
Mit dem Görres-Abend erinnert die katholische Journalistenschule ifp an den katholischen Publizisten und Gründer des Rheinischen Merkurs Joseph Görres (1776-1848). Zuvor sprachen bei den Görres-Abenden die Historikerin und Görres-Biographin Monika Fink-Lang, Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, sowie im vergangenen Jahr Kardinal Reinhard Marx und der TV-Moderator Thomas Gottschalk.